Künstler der Woche
Interview mit Stelzenbein

Hallo Anja, wie bist du dazu gekommen, Stelzenlaufen zu lernen?
Zum Stelzenlaufen kam ich 1997 durch meine Freunde vom Theater Feuervogel – einem renommierten Stelzentheater mit eindrucksvollen Inszenierungen. Ich war und bin Musikerin, und wir arbeiteten schon jahrelang immer wieder bei verschiedensten Veranstaltungen zusammen. Eines Tages, bei einer Party von ihnen, wollte ich das Stelzenlaufen unbedingt einmal ausprobieren – und habe mich wohl ganz gut angestellt. Sie entwarfen eine neue Figur, die ich dann verkörpern sollte: eine Widder-Göttin auf Stelzen mit großer Trommel. Die besondere Poesie dieser Kunstform und die unmittelbare Nähe zum Publikum haben mich sofort fasziniert. Später war ich Teil des internationalen Künstlernetzwerks „Lufttanz Theater Berlin“, das mit wechselnden Produktionen international auftrat. Wie schon gesagt – ursprünglich bin ich Musikerin (Percussion und Balkangesang) und arbeite weltweit. Aber der direkte Austausch mit dem Publikum hat mir dabei oft gefehlt. Auf Stelzen jedoch bewege ich mich mitten durch die Menge, nehme Stimmungen auf, löse Emotionen aus – und genau das liebe ich. Heute entwerfe ich meine eigenen Figuren und Kostüme und trete mit meinen Walkacts eigenständig auf.
Was fasziniert dich am Stelzenlaufen?
Es sind die kleinen, flüchtigen Momente, die mich begeistern: ein staunender Blick, ein kurzes Lachen, ein Funke, der überspringt. Auf Stelzen ist jede Begegnung einzigartig – oft entstehen daraus winzige Geschichten, die niemand geplant hat. Gerade dieses Unvorhersehbare macht für mich den Zauber aus. Ich liebe es, mit einer Figur nicht nur aufzutreten, sondern Augenblicke zu schaffen, die Menschen noch eine Weile begleiten. Als Blumenfee verschenke ich z. B. kleine bunte Tütchen mit Blumensamen – Saatbomben. Die können Kinder und Erwachsene in die Erde säen. Während der ganzen Zeit bis zur Blüte erinnern sie sich an mich. Das ist für mich die Arbeit wert – all das Herstellen und Verpacken.
Wie lange hat es gedauert, bis du dich sicher auf den Stelzen gefühlt hast? Gab es dabei besondere Herausforderungen?
Das Kuriose am Stelzenlaufen ist: Bevor man überhaupt läuft, lernt man zuerst – das Fallen. Klingt paradox, ist aber entscheidend. Das Gehen selbst ist gar nicht so schwer – solange man keine Angst hat. Denn sobald man denkt: „Oh Gott, ich könnte stolpern“, passiert’s meist auch. Man trainiert zuerst auf großen, weichen Matten und übt, sich in alle Richtungen fallen zu lassen – vorwärts, rückwärts, seitlich. Wichtig ist: niemals auf die Hände fallen, sonst sind die Arme schnell gebrochen. Man muss immer auf die Knie fallen – egal wie. Das heißt: Wenn man rückwärts fällt, muss man sich in der Luft noch drehen. Knieschoner sind also Pflicht – und meine früheren Judofähigkeiten waren da ein echter Bonus. Die Balance beim Laufen ist ein bisschen wie beim Fahrradfahren: Hat man’s einmal raus, wird es irgendwann ganz selbstverständlich. Aber Mut braucht es – und Vertrauen in den eigenen Körper.
Was war der aufregendste oder ungewöhnlichste Auftritt, den du je hattest?
Ich spiele oft im Leipziger Zoo – unter anderem jedes Jahr beim „Tropenleuchten“ im Gondwanaland, unter der riesigen, tropisch warmen Kuppel. Einmal bin ich draußen am Tigergehege vorbeigelaufen – viele Menschen standen dort, aber der Tiger sah nur mich. Er fixierte mich mit großen Augen, kratzte mit den Pfoten am Fenster, stellte sich auf und suchte immer wieder nach einem Weg nach oben, über die Absperrung. Ich ging von rechts nach links – und er folgte mir mit riesigen Augen bei jedem Schritt. Als würde er überlegen: „Was genau bist du – und wie schmeckst du wohl?“ Dieser wilde Blick – das war sehr beeindruckend.
Gibt es ein spezielles Training?
Ein gewisses Maß an Fitness ist beim Stelzenlaufen unerlässlich. Im Sommer ist es manchmal wirklich hart. Die Kostüme bestehen oft aus mehreren Lagen Stoff und Schaumstoff – man schwitzt schon beim Anziehen. Ich sage immer: Es ist wie Fitnesstraining in der Sauna – nur mit zwei Meter langen Beinen und Armen. Regelmäßiges Training auf den Stelzen ist wichtig, damit die Bewegungsabläufe flüssig bleiben. Dazu kommt ein allgemeines Fitnesstraining, um Ausdauer, Kraft und vor allem Stabilität zu erhalten. Denn der Körper muss jede Bewegung ausgleichen – und auf Stelzen verzeiht einem die Schwerkraft keine Unaufmerksamkeit.
Worauf muss man beim Stelzenlaufen besonders achten?
Beim Stelzenlaufen ist höchste Konzentration gefragt. Die Stelzen an Armen und Beinen sind lang, und man hat nur kleine Auftrittsflächen – Punktstelzen eben. Das heißt: Jeder Schritt, jede Armbewegung muss genau platziert werden. Das Gleichgewicht wird ständig neu ausbalanciert, oft durch kleine, korrigierende Bewegungen. Dazu kommt: Man ist von vielen Menschen umgeben – oft von kleinen Kindern, die plötzlich seitlich oder zwischen den Stelzen auftauchen. Man braucht also einen Rundumblick, schnelle Reaktionen, gutes Gehör – der Kopf arbeitet ständig mit. Und das alles oft nachts, mit Maske und eigener Beleuchtung, die zusätzlich das Sichtfeld einschränkt oder sogar blendet. Der Untergrund? Gerne mal nasses Kopfsteinpflaster oder glitschiges Konfetti. Und dann gibt es noch das besondere Publikum – freundlich, aber manchmal auch leicht angetrunken und übermütig. Kurz: Körper und Geist sind im Dauereinsatz. Es sieht leicht aus – ist aber echte Hochleistungsdisziplin.
Wo trittst du am liebsten auf – bei Festivals, Straßenfesten, privaten Events? Und warum?
Am liebsten spiele ich vor möglichst vielen Menschen – auf Stadtfesten, Festivals oder großen Veranstaltungen. Es ist schön, wenn möglichst viele etwas von der Begegnung haben. Aber ich genieße auch die kleinen, privaten Auftritte sehr. Da entsteht oft eine ganz besondere Nähe. Man kommt ins Gespräch, lernt sich kennen, kann anders reagieren, spontaner sein – das hat eine eigene, sehr warme Qualität.
In welche Kostüme oder Rollen schlüpfst du beim Stelzenlaufen am liebsten? Wie wichtig ist dir die Inszenierung dabei?
Drachen oder den Goldkäfer. Beide Kostüme habe ich entworfen, umgesetzt wurden sie von der Berliner Werkstatt „Narziss und Goldfaden“, deren hohe Kunstfertigkeit man jedem Detail ansieht. Die Kombination aus Größe, Bewegung und kunstvoller Verarbeitung verleiht diesen Figuren eine starke Präsenz. Die LED-Beleuchtung habe ich selbst eingebaut – mit viel Geduld, Bastelarbeit und technischer Finesse. Mein neues Kostüm, die „Blumenfee“, ist eine komplette Eigenkreation. Drei Monate lang habe ich fast täglich daran gearbeitet – genäht, geklebt, verdrahtet. Und ich finde: Sie ist wirklich etwas Besonderes geworden.Die Inszenierung spielt für mich eine zentrale Rolle. Es geht mir nicht nur um das Kostüm, sondern um das Gesamtbild – um Atmosphäre und Wirkung im Zusammenspiel mit Musik, Licht und Bewegung. Jede Figur erzählt ihre eigene Geschichte – leise, poetisch, verspielt oder wild.
Kannst du uns die Blumenfee zeigen?